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Glauben

„Die Hoffnung ist ein zähes Biest“

Von Wildwasserbahnen und geteilten Namen

Als meine Tante starb, da war sie 37 und ich 9 Jahre alt.

Wir beide mochten einander sehr gerne.

Wir haben am gleichen Tag Geburtstag.

Ihr erster Name ist mein dritter.

Ich trug ihn schon immer mit großem Stolz.

Irene – der Frieden.

Wir gingen Entenfüttern am Rhein, als man das noch durfte;

Schiffe schauen und Steinchen flitschen.

Mit meiner Tante fuhr ich das erste Mal ins Phantasialand, und danach 20 Jahre nicht mehr.

Es war ein wundervoller Tag, zumindest für mich und die Wildwasserbahn,

und wir wollten ihn im nächsten Jahr wiederholen.

Aber da ging es ihr schon zu schlecht.

Weil ich so traurig über alles war, durfte ich mir im Spielzeugladen gegenüber

aussuchen, was ich wollte. Was ich wollte!

Da hätte ich es schon wissen müssen.

Ich wählte eine Barbie, an die ich ansonsten keinerlei Erinnerungen mehr habe.

So egal war sie da schon.

Das war die Zeit, als die Hoffnung langsam zu sterben anfing, und meine Tante auch.

Der Krebs nahm ihr die Zukunft und uns ein Leben mit ihr.

Kurz vor Weihnachten mussten wir uns von ihr verabschieden.

Mein Opa verlor seine Tochter, meine Mutter ihre Schwester und wir unsere Tante.

Nach ihrer Beerdigung gingen wir zum Kaffeetrinken in ein Hotel mit Blick auf den Rhein. Dort gab es Obstkuchen und Sahne, weil trockener Kuchen nur noch trauriger gemacht hätte.

Danach begann eine stille Zeit in unserer lauten Familie.

In diese stille Zeit fiel mein nächster Geburtstag. Der erste meines Lebens, an dem meine Tante ihren nicht mehr feiern konnte.

Ich fragte mich, ob ich dann überhaupt feiern darf. Ob das okay ist, was sie wohl davon halten würde, was die anderen wohl meinen.

Zum Glück gab es Erwachsene, die mir die Entscheidung abnahmen. Natürlich wurde gefeiert, man wird ja schließlich nur einmal 10.

Auf meinem Geburtstagstisch stand ein Bild meiner Tante mit einer extra Kerze für sie.

Und da merkte ich, dass die Hoffnung doch nicht ganz gestorben war.

Die Hoffnung, sie ist ein zähes Biest.

Gott sei Dank ist sie das.

Manchmal zieht sie sich zurück, stellt sich tot, ist nicht auffindbar, nicht unter dem Sofa, nicht im Kühlschrank, in keiner Ritze kann man sie finden.

Und dann taucht sie doch wieder auf. So, als wäre sie nie weg gewesen.

Natürlich, wir haben immer alle daran geglaubt, dass meine Tante jetzt bei Gott ist.

Die eine so, der andere so.

Aber diese Hoffnung war nie weg.

Für meine Tante hatten wir sie, aber wir haben sie auch für uns wiedergefunden.

Vielleicht mag ich deshalb den Wechsel von Karfreitag zu Ostern so gerne.

Die Hoffnung fühlt sich anders an, wenn es vorher ganz schwarz und düster war.

Echter. Überwältigender. Näher. Klarer.

Auf jede Nacht folgt ein Tag.

Auf jede Dunkelheit ein Licht.

Auch dann, wenn man manchmal lange darauf warten muss.

Heute fahre ich die Wildwasserbahn im Phantasialand mit meinem Mann.

Nie, ohne an das überteuerte Bild zu denken, das meine Tante damals für mich gekauft hat; das uns zeigt, wie wir gemeinsam den Fluten trotzen.

Sie ist eben doch noch dabei auf meiner Fahrt durch das Leben. Dank der Hoffnung.

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Foto: Marcel Ringhoff/pixelio